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==Giovanni Boccaccio und der Traumdiskurs des 14. Jahrhunderts==
 
==Giovanni Boccaccio und der Traumdiskurs des 14. Jahrhunderts==
Das ''Decameron'' ist nur einer von mehreren Texten, in denen Giovanni Boccaccio sich mit dem Phänomen des Traums auseinandersetzt. Wie die meisten europäischen Gelehrten des 14. Jahrhunderts steht er unter dem Einfluss von Traumbüchern, Traumdeutungen und Traumwissen seiner Zeit (Capozzo 2013, 206). Eingebunden in ein intertextuelles Netzwerk von Traumdiskursen in der italienischen Barock- und Renaissanceliteratur (Scholl 2008, 111) nimmt Boccaccio Bezug auf [["Oneirokritika" (Artemidor von Daldis)|Artemidor]] und Macrobius als antike Referenzmodelle. Insbesondere die Einteilung der Träume nach Macrobius findet nicht nur Eingang in das fiktionale Werk Boccaccios, sondern bildet darüber hinaus die Grundlage für sein Kapitel über den Traumgott („De Somno Herebi filio XVII“) in den ''Genealogie deorum gentilium'', deren erste Version 1360 erscheint. Die enzyklopädische Zusammenstellung griechisch-römischer Götterfiguren fasst unter Berufung auf weitere antike Autoritäten wie Vergil oder Homer die Klassifikation des Macrobius zusammen (Capozzo 2015, 204 f.; Samaké 2020, 49 f.): „somnia sunt multiplicum specierum, ex quibus quinque tantum super Somnio Scipionis ostendit Macrobius“ (Boccaccio 1951, 58; „Es gibt verschiedene Arten von Träumen, von denen Macrobius allein fünf nur in Bezug auf den Traum des Scipio vorführt“).<ref>Albert Schirrmeister (2021, 371) weist darauf hin, dass die u. a. von Macrobius verwendeten lateinischen Begriffe die romanischen Sprachen bis heute beeinflussen, dabei aber auch zu Unschärfen und Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Schlaf und Traum geführt haben. </ref>  Die Orientierung am antiken Modell der Systematisierung schlägt sich später auch in der Differenzierung von Traumtypen im ''Decameron'' nieder.
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Das ''Decameron'' ist nur einer von mehreren Texten, in denen Giovanni Boccaccio sich mit dem Phänomen des Traums auseinandersetzt. Wie die meisten europäischen Gelehrten des 14. Jahrhunderts steht er unter dem Einfluss von Traumbüchern, Traumdeutungen und Traumwissen seiner Zeit (Capozzo 2013, 206). Eingebunden in ein intertextuelles Netzwerk von Traumdiskursen in der italienischen Barock- und Renaissanceliteratur (Scholl 2008, 111) nimmt Boccaccio Bezug auf [["Oneirokritika" (Artemidor von Daldis)|Artemidor]] und Macrobius als antike Referenzmodelle. Insbesondere die Einteilung der Träume nach Macrobius findet nicht nur Eingang in das fiktionale Werk Boccaccios, sondern bildet darüber hinaus die Grundlage für sein Kapitel über den Traumgott („De Somno Herebi filio XVII“) in den ''Genealogie deorum gentilium'', deren erste Version 1360 erscheint. Die enzyklopädische Zusammenstellung griechisch-römischer Götterfiguren fasst unter Berufung auf weitere antike Autoritäten wie Vergil oder Homer die Klassifikation des Macrobius zusammen (Capozzo 2015, 204 f.; Samaké 2020, 49 f.): „somnia sunt multiplicum specierum, ex quibus quinque tantum super Somnio Scipionis ostendit Macrobius“ („Es gibt verschiedene Arten von Träumen, von denen Macrobius allein fünf nur in Bezug auf den Traum des Scipio vorführt“; Boccaccio 1951, 58).<ref>Albert Schirrmeister (2021, 371) weist darauf hin, dass die u.a. von Macrobius verwendeten lateinischen Begriffe die romanischen Sprachen bis heute beeinflussen, dabei aber auch zu Unschärfen und Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Schlaf und Traum geführt haben. </ref>  Die Orientierung am antiken Modell der Systematisierung schlägt sich später auch in der Differenzierung von Traumtypen im ''Decameron'' nieder.
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Bereits einige Jahre vor der Novellensammlung publiziert Boccaccio zwischen 1342 und 1343 die ''Amorosa visione'', einen auf Dantes ''[["Divina Commedia" (Dante Alighieri)|''Commedia'']]'' reagierenden, ebenfalls in Gesängen und Terzinen verfassten Text. Die im Titel evozierte ''visione'', die ja eine der Traumkategorien nach Macrobius darstellt, verweist auf die Bedeutung des Onirischen für die Handlung: Entbrannt in Liebe zu Fiammetta schläft das lyrische Subjekt ein und durchläuft verschiedene Stationen einer Traumreise (Scholl 2008, 116 f.), die auf das Wirken der Liebe bzw. Amors als Liebesgott zurückgeht und zu Begegnungen mit der Angebeteten führt. In den einleitenden Kapiteln wird die ''visione'' weitere drei Mal benannt (Boccaccio 1939, 119 f.), bevor im ersten Kapitel der eigentlichen Handlung der Übergang zum Schlaf und zum Traumerleben geschildert wird – der Liebende legt sich ins Bett, schläft ein und sieht sich, nun im Traum, in einer verlassenen Landschaft laufen: „Lí mi posai, e ciascun occhio grave / al sonno diedi [...] / Cosí dormendo, in su’ liti salati / mi vidi correr [...] in quelli abbandonati“ (Boccaccio 1939, 122).  
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Bereits einige Jahre vor der Novellensammlung publiziert Boccaccio zwischen 1342 und 1343 die ''Amorosa visione'', einen auf Dantes ''[["Divina Commedia" (Dante Alighieri)|''Commedia'']]'' reagierenden, ebenfalls in Gesängen und Terzinen verfassten Text. Die im Titel evozierte ''visione'', die ja eine der Traumkategorien nach Macrobius darstellt, verweist auf die Bedeutung des Onirischen für die Handlung: Entbrannt in Liebe zu Fiammetta schläft das lyrische Subjekt ein und durchläuft verschiedene Stationen einer Traumreise (Scholl 2008, 116 f.), die auf das Wirken der Liebe bzw. Amors als Liebesgott zurückgeht und zu Begegnungen mit der Angebeteten führt. In den einleitenden Kapiteln wird die ''visione'' weitere drei Mal benannt (Boccaccio 1939, 119 f.), bevor im ersten Kapitel der eigentlichen Handlung der Übergang zum Schlaf und zum Traumerleben geschildert wird – der Liebende legt sich ins Bett, schläft ein und sieht sich, nun im Traum, in einer verlassenen Landschaft laufen: „Lí mi posai, e ciascun occhio grave/ al sonno diedi [...]/ Cosí dormendo, in su’ liti salati/ mi vidi correr [...] in quelli abbandonati“ („###########“; Boccaccio 1939, 122).  
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Auch in der 1366 veröffentlichten Erzählung ''Il Corbaccio'', einem der späteren Werke Boccaccios, spielen sich weite Teile der Handlung in einem Traum ab. Der von einer vermeintlich unschuldig ins Unglück geratenen Frau getäuschte Protagonist wird in einem Traum über ihren wahren Charakter aufgeklärt. Ganz in mittelalterlicher Tradition ist der Traum von einer göttlichen Instanz bedingt; er entsteht aus der „divina grazia“ (Boccaccio 1982, 107), der Gottesgnade, heraus und dient der Findung einer Wahrheit, die dann in der Wachwelt genutzt werden kann. Die Gestaltung der fantastisch anmutenden Traumlandschaft in ''Il Corbaccio'' weist voraus auf die ,fremde‘ onirische Welt in Francesco Colonnas ''Hypnerotomachia Poliphili'' von 1499 (Scholl 2008, 117 f.). Zeitlich liegt die Entstehung des ''Decameron'' (1349-1353) zwischen der ''Amorosa visione'' einerseits und den ''Genealogie deorum gentilium'' sowie ''Il Corbaccio'' andererseits. Die Traumerzählungen der Novellensammlung sind also zugleich als Rückverweise auf die chronologisch früheren Texte und als Grundlage für Boccaccios spätere Überlegungen zum Traum lesbar.
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Auch in der 1366 veröffentlichten Erzählung ''Il Corbaccio'' (Die Krähe), einem der späteren Werke Boccaccios, spielen sich weite Teile der Handlung in einem Traum ab. Der von einer vermeintlich unschuldig ins Unglück geratenen Frau getäuschte Protagonist wird in einem Traum über ihren wahren Charakter aufgeklärt. Ganz in mittelalterlicher Tradition ist der Traum von einer göttlichen Instanz bedingt; er entsteht aus der „divina grazia“ (Boccaccio 1982, 107), der Gottesgnade, heraus und dient der Findung einer Wahrheit, die dann in der Wachwelt genutzt werden kann. Die Gestaltung der fantastisch anmutenden Traumlandschaft in ''Il Corbaccio'' weist voraus auf die ,fremde‘ onirische Welt in Francesco Colonnas ''Hypnerotomachia Poliphili'' von 1499 (Scholl 2008, 117 f.). Zeitlich liegt die Entstehung des ''Decameron'' (1349-1353) zwischen der ''Amorosa visione'' einerseits und den ''Genealogie deorum gentilium'' sowie ''Il Corbaccio'' andererseits. Die Traumerzählungen der Novellensammlung sind also zugleich als Rückverweise auf die chronologisch früheren Texte und als Grundlage für Boccaccios spätere Überlegungen zum Traum lesbar.
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===Rahmenhandlung===
 
===Rahmenhandlung===
Das Projekt der Flucht aus der Stadt steht im Zeichen der Spannung von Unordnung und Ordnung (Steurer 2023, 22). Vor die Schilderung der Zufallsbegegnung der zehn Personen in der Kirche Santa Maria Novella platziert Boccaccio das Proömium und eine Schilderung der Seuche in der Stadt.<ref>Das ''Decameron'' besitzt also gleich mehrere Anfangsmomente – den Beginn des Proömiums, den Auftakt zur Seuchenschilderung, den Übergang zur Rahmenerzählung, die Flucht und der jeweilige Anfang der Novellen. Boccaccio selbst interessiert sich in besonderem Maße für das Thema des Anfangs (Bruno Pagnamenta 1999, 19). </ref> Die um sich greifende Krankheit führt zu einem Prozess der Auflösung, zum einen durch den Tod eines Großteils der Bevölkerung, zum anderen durch die Abkehr von ethisch-moralischen Regeln, symbolisch zur Anschauung gebracht in der Zerstörung verwandtschaftlicher Bande: „che l’un fratello l’altro abbandonava e il zio il nepote e la sorella il fratello spesse volte la donna il suo marito; e, che maggior cosa è e quasi non credibile, li padri e li madri i figliuoli“ (D 16; „daß ein Bruder den andern im Stich ließ, der Oheim seinen Neffen, die Schwester den Bruder und oft die Frau den Mann, ja, was das schrecklichste ist und kaum glaublich schein: Vater und Mutter weigerten sich, ihre Kinder zu besuchen und zu pflegen“, Dd 20). Selbst der Tod verläuft im Chaos und die Stadt wird von einem „unordentlichen Sterben“ (Wehle 1993, 224) ergriffen. Um diese Unordnung und Auflösung dreht sich das Gespräch der Mitglieder der späteren ''brigata'' in der Kirche.  
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Das Projekt der Flucht aus der Stadt steht im Zeichen der Spannung von Unordnung und Ordnung (Steurer 2023, 22). Vor die Schilderung der Zufallsbegegnung der zehn Personen in der Kirche Santa Maria Novella platziert Boccaccio das Proömium und eine Schilderung der Seuche in der Stadt.<ref>Das ''Decameron'' besitzt also gleich mehrere Anfangsmomente – den Beginn des Proömiums, den Auftakt zur Seuchenschilderung, den Übergang zur Rahmenerzählung, die Flucht und den jeweiligen Anfang der Novellen. Boccaccio selbst interessiert sich in besonderem Maße für das Thema des Anfangs (Bruno Pagnamenta 1999, 19). </ref> Die um sich greifende Krankheit führt zu einem Prozess der Auflösung, zum einen durch den Tod eines Großteils der Bevölkerung, zum anderen durch die Abkehr von ethisch-moralischen Regeln, symbolisch zur Anschauung gebracht in der Zerstörung verwandtschaftlicher Bande: „che l’un fratello l’altro abbandonava e il zio il nepote e la sorella il fratello spesse volte la donna il suo marito; e, che maggior cosa è e quasi non credibile, li padri e li madri i figliuoli“ (D 16; „daß ein Bruder den andern im Stich ließ, der Oheim seinen Neffen, die Schwester den Bruder und oft die Frau den Mann, ja, was das schrecklichste ist und kaum glaublich schein: Vater und Mutter weigerten sich, ihre Kinder zu besuchen und zu pflegen“, Dd 20). Selbst der Tod verläuft im Chaos und die Stadt wird von einem „unordentlichen Sterben“ (Wehle 1993, 224) ergriffen. Um diese Unordnung und Auflösung dreht sich das Gespräch der Mitglieder der späteren ''brigata'' in der Kirche.  
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Als erste Person ergreift bei diesem Zusammentreffen – und überhaupt im gesamten Buch – Pampinea das Wort. Sie spricht nicht in ein Chaos hinein, sondern nutzt eine Sprechpause der anderen, so dass der Austausch der ''brigata'' sich von Beginn an im Zeichen der Ordnung vollzieht (D 21; Steurer 2023, 28). Schnell wird in der Rede Pampineas klar, dass die zunächst skizzierten Möglichkeiten, der Seuche zu entfliehen, nicht realisierbar scheinen – deshalb resümiert sie: „E se così e, che essere manifestamente si vede, che faccian noi qui, che attendiamo, che sognamo?“ (D 23; „Verhält es sich aber so, und daß es sich so verhält, ist offenbar, was tun wir dann hier? Worauf warten, wovon träumen wir?“, Dd 27). Das Verb ''sognare'' (träumen) wird hier zum ersten Mal im ''Decameron'' verwendet und zwar mit der negativen Konnotation einer Bewegung des Abwartens und Zögerns, aus dem kein Entschluss zur Handlung hervorgeht (Balestrero 2009, 40; Steurer 2023, 28). Indem die Gruppe aus der Stadt flieht, wird dieser inaktiven Traumtätigkeit ein Ende besetzt. Gleichzeitig erweist sich die Flucht als Auftakt für ein Leben in einer anderen Welt, die Parallelen zu einer positiven Traumtätigkeit aufweist. Der Aufenthalt der ''brigata'' in einem „Spiel-Raum“ (Söffner 2018, 37) des „Kunsthandeln[s]“ (Wehle 1993, 245) ähnelt dem in einem Traum-Raum. Wie ein Schlaftraum – und damit anders als eine Utopie – ist die Zeit auf dem Land zeitlich begrenzt. Schon in der Gründungsrede der ''brigata'' lässt Pampinea erahnen, dass der geplante Aufenthalt ein Ende haben wird (D 24). Die Gruppe stimmt ihrem Entwurf zu und am folgenden Tag begeben sich die zehn Personen in eine „zufallsfreie Welt“ (Flasch 1992, 113). Sie ist gekennzeichnet von einer demokratischen Struktur des Zusammenlebens und einer ausgefeilten Ordnung (Neumeister 2021, 19; Küpper 1993, 90), innerhalb derer die hundert Geschichten erzählt werden. Nach Ablauf von zehn Tagen kehrt die ''brigata'' in die Stadt zurück, ohne dass die Pest ein Ende gefunden hat. Wie es den zehn Personen im Folgenden ergeht, wird nicht mehr thematisiert, so dass am Ende der Novellensammlung „ein unaufgelöster Rest“ (Neuschäfer 1969, 128) steht.
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Als erste Person ergreift bei diesem Zusammentreffen – und überhaupt im gesamten Buch – Pampinea das Wort. Sie spricht nicht in ein Chaos hinein, sondern nutzt eine Sprechpause der anderen, so dass der Austausch der ''brigata'' sich von Beginn an im Zeichen der Ordnung vollzieht (D 21; Steurer 2023, 28). Schnell wird in der Rede Pampineas klar, dass die zunächst skizzierten Möglichkeiten, der Seuche zu entfliehen, nicht realisierbar scheinen – deshalb resümiert sie: „E se così e, che essere manifestamente si vede, che faccian noi qui, che attendiamo, che sognamo?“ (D 23; „Verhält es sich aber so, und daß es sich so verhält, ist offenbar, was tun wir dann hier? Worauf warten, wovon träumen wir?“, Dd 27). Das Verb ''sognare'' (träumen) wird hier zum ersten Mal im ''Decameron'' verwendet und zwar mit der negativen Konnotation einer Bewegung des Abwartens und Zögerns, aus dem kein Entschluss zur Handlung hervorgeht (Balestrero 2009, 40; Steurer 2023, 28). Indem die Gruppe aus der Stadt flieht, wird dieser inaktiven Traumtätigkeit ein Ende gesetzt. Gleichzeitig erweist sich die Flucht als Auftakt für ein Leben in einer anderen Welt, die Parallelen zu einer positiven Traumtätigkeit aufweist. Der Aufenthalt der ''brigata'' in einem „Spiel-Raum“ (Söffner 2018, 37) des „Kunsthandelns“ (Wehle 1993, 245) ähnelt dem in einem Traum-Raum. Wie ein Schlaftraum – und damit anders als eine Utopie – ist die Zeit auf dem Land zeitlich begrenzt. Schon in der Gründungsrede der ''brigata'' lässt Pampinea erahnen, dass der geplante Aufenthalt ein Ende haben wird (D 24). Die Gruppe stimmt ihrem Entwurf zu und am folgenden Tag begeben sich die zehn Personen in eine „zufallsfreie Welt“ (Flasch 1992, 113). Sie ist gekennzeichnet von einer demokratischen Struktur des Zusammenlebens und einer ausgefeilten Ordnung (Neumeister 2021, 19; Küpper 1993, 90), innerhalb derer die hundert Geschichten erzählt werden. Nach Ablauf von zehn Tagen kehrt die ''brigata'' in die Stadt zurück, ohne dass die Pest ein Ende gefunden hat. Wie es den zehn Personen im Folgenden ergeht, wird nicht mehr thematisiert, so dass am Ende der Novellensammlung „ein unaufgelöster Rest“ (Neuschäfer 1969, 128) bleibt.
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====IV,5: Eine Traumerscheinung aus dem Jenseits====
 
====IV,5: Eine Traumerscheinung aus dem Jenseits====
Tote, die den Lebenden im Traum erscheinen, sind ein fester Bestandteil mittelalterlicher Traumdiskurse. So weist z.B. Augustinus in ''De cura pro mortuis gerenda'' darauf hin, dass entgegen anderer verbreiteter Deutungen die im Traum auftretenden Erscheinungen nur Bilder der Verstorbenen und nicht mit diesen selbst identisch seien (Balestrero 2009, 19; Keskiaho 2015, 21). Indem Boccaccio die erste seiner Traumgeschichten, erzählt an fünfter Position des vierten Tages, mit einer Erscheinung aus dem Jenseits verbindet, orientiert er sich also an einer etablierten Tradition, die möglicherweise bis zum Modell von Apuleius zurückreicht (Balestrero 2009, 19).  
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Tote, die den Lebenden im Traum erscheinen, sind ein fester Bestandteil mittelalterlicher Traumdiskurse. So weist z.B. Augustinus in ''De cura pro mortuis gerenda'' darauf hin, dass entgegen anderer verbreiteter Deutungen die im Traum auftretenden Erscheinungen nur Bilder der Verstorbenen und nicht mit diesen selbst identisch seien (Balestrero 2009, 19; Keskiaho 2015, 21). Indem Boccaccio die erste seiner Traumgeschichten, erzählt an fünfter Position des vierten Tages, mit einer Erscheinung aus dem Jenseits verbindet, orientiert er sich also an einer etablierten Tradition, die möglicherweise bis zum Modell von Apuleius' ''Metamorphosen'' (auch bekannt als ''Der goldene Esel''; 2. Jh.) zurückreicht (Balestrero 2009, 19).  
    
Protagonistin ist die junge Lisabetta. Nachdem ihre Brüder herausgefunden haben, dass sie gegen die Regeln ihres Standes mit dem Diener Lorenzo liiert ist, bringen sie Lorenzo um und behaupten danach, ihn auf Reisen geschickt zu haben. Verzweifelt über das Verschwinden des Geliebten verbringt Lisabetta ihre Nächte damit, den abwesenden Lorenzo um seine Rückkehr anzuflehen. Tatsächlich ist die Nacht auch der Zeitpunkt, an dem Lorenzo irgendwann auf Lisabettas Rufe ‚reagiert‘. Er erscheint ihr im Schlaf und offenbart, dass und wie er zu Tode gekommen ist:  
 
Protagonistin ist die junge Lisabetta. Nachdem ihre Brüder herausgefunden haben, dass sie gegen die Regeln ihres Standes mit dem Diener Lorenzo liiert ist, bringen sie Lorenzo um und behaupten danach, ihn auf Reisen geschickt zu haben. Verzweifelt über das Verschwinden des Geliebten verbringt Lisabetta ihre Nächte damit, den abwesenden Lorenzo um seine Rückkehr anzuflehen. Tatsächlich ist die Nacht auch der Zeitpunkt, an dem Lorenzo irgendwann auf Lisabettas Rufe ‚reagiert‘. Er erscheint ihr im Schlaf und offenbart, dass und wie er zu Tode gekommen ist:  
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: <span style="color: #7b879e;">Avvenne una notta che, avendo costei molto pianto Lorenzo che non tornava e essendosi alla fine piagnendo adormentata, Lorenzo l’apparve nel sonno, pallido e tutto rabbuffato e co’ panni tutti stracciati e fracidi: e parvele che egli dicesse: „O Lisabetta, tu non mi fai altro che chiamare e della mia lunga dimora t’atristi e me con le tue lagrime fieramente acusi; e per ciò sappi che io non posso più ritornarci, per ciò che l’ultimo dì che tu mi vedesti i tuoi fratelli m’uccisono.“ E disegnatole il luogo dove sotterato l’aveano, le disse che piu nol chiamasse né l’apettasse, e disparve. La giovane, destatasi e dando fede alla visione, amaramente pianse. (D 376).
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: <span style="color: #7b879e;">Avvenne una notta che, avendo costei molto pianto Lorenzo che non tornava e essendosi alla fine piagnendo adormentata, Lorenzo l’apparve nel sonno, pallido e tutto rabbuffato e co’ panni tutti stracciati e fracidi: e parvele che egli dicesse: „O Lisabetta, tu non mi fai altro che chiamare e della mia lunga dimora t’atristi e me con le tue lagrime fieramente acusi; e per ciò sappi che io non posso più ritornarci, per ciò che l’ultimo dì che tu mi vedesti i tuoi fratelli m’uccisono.“ E disegnatole il luogo dove sotterato l’aveano, le disse che piu nol chiamasse né l’apettasse, e disparve. La giovane, destatasi e dando fede alla visione, amaramente pianse (D 376).
    
: <span style="color: #7b879e;">Eines Nachts aber, als sie Lorenzos Ausbleiben besonders lange beweint hatte und endlich über ihren Klagen eingeschlafen war, erschien ihr Lorenzo im Traum, bleich und ganz zerstört, mit schmutzigen und zerfetzten Kleidern, und es war ihr, als ob er zu ihr sage: „Ach, Lisabetta, du rufst mich unaufhörlich, du betrübst dich über mein langes Ausbleiben und klagst mich mit deinen Tränen auf das härteste an. Wisse aber, daß ich nicht mehr zurückzukehren vermag; denn an dem Tag, an dem du mich zum letztenmal gesehen, ermordeten mich deine Brüder.“ Dann bezeichnete er ihr noch die Stelle, wo jene ihn verscharrt hätten, wiederholte ihr, daß sie ihn nicht mehr rufen oder erwarten solle, und verschwand. Das Mädchen erwachte und weinte bitterlich über das Traumgesicht, dem es vollen Glauben beimaß (Dd 368 f.).</span>
 
: <span style="color: #7b879e;">Eines Nachts aber, als sie Lorenzos Ausbleiben besonders lange beweint hatte und endlich über ihren Klagen eingeschlafen war, erschien ihr Lorenzo im Traum, bleich und ganz zerstört, mit schmutzigen und zerfetzten Kleidern, und es war ihr, als ob er zu ihr sage: „Ach, Lisabetta, du rufst mich unaufhörlich, du betrübst dich über mein langes Ausbleiben und klagst mich mit deinen Tränen auf das härteste an. Wisse aber, daß ich nicht mehr zurückzukehren vermag; denn an dem Tag, an dem du mich zum letztenmal gesehen, ermordeten mich deine Brüder.“ Dann bezeichnete er ihr noch die Stelle, wo jene ihn verscharrt hätten, wiederholte ihr, daß sie ihn nicht mehr rufen oder erwarten solle, und verschwand. Das Mädchen erwachte und weinte bitterlich über das Traumgesicht, dem es vollen Glauben beimaß (Dd 368 f.).</span>
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Panfilos Überlegungen sind auch als ironischer, metaliterarischer Kommentar Boccaccios lesbar (Capozzo 2013, 209) – insbesondere in der Vorausschau auf die sechste Geschichte des neunten Tages, in der ein von den Figuren lediglich erfundener Traum vorkommt. Auch wenn Boccaccio von einem modernen Traumverständnis weit entfernt ist, wird in Panfilos kleiner Ansprache die Differenz zwischen Wachwelt und Traumwelt sichtbar gemacht. Eine Alterität des onirischen Erlebens wird darin zumindest angedeutet.
 
Panfilos Überlegungen sind auch als ironischer, metaliterarischer Kommentar Boccaccios lesbar (Capozzo 2013, 209) – insbesondere in der Vorausschau auf die sechste Geschichte des neunten Tages, in der ein von den Figuren lediglich erfundener Traum vorkommt. Auch wenn Boccaccio von einem modernen Traumverständnis weit entfernt ist, wird in Panfilos kleiner Ansprache die Differenz zwischen Wachwelt und Traumwelt sichtbar gemacht. Eine Alterität des onirischen Erlebens wird darin zumindest angedeutet.
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In Panfilos Novelle geht es wie zuvor bei Filomena um einen Traum, der sich als wahr erweisen wird. Aus der antiken Literatur übernimmt Boccaccio das Motiv eines Doppeltraums (Balestrero 2009, 31), der zwei Personen gleichzeitig widerfährt. Von Panfilos allgemein gehaltenen Aussagen über den Weissagungscharakter von Träumen findet mit dem Beginn der Erzählung ein Übergang in eine höfisch-adlige Welt statt (Branca 1998, 120): Andreuola, Tochter eines reichen Edelmanns, liebt den moralisch vorbildlichen, aber ärmeren Gabriotto, den sie auf Grund des Standesunterschieds nur heimlich heiraten kann. Gestört wird das zum Alltag gewordene Idyll der verborgenen Liebesbeziehung (Cingolani 2003, 76) durch einen Albtraum Andreuolas, in dem Gabriotto von einem namenlosen schwarzen Etwas angefallen und verschleppt wird:  
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In Panfilos Novelle geht es wie zuvor bei Filomena um einen Traum, der sich als wahr erweisen wird. Aus der antiken Literatur übernimmt Boccaccio das Motiv eines Doppeltraums (Balestrero 2009, 31), der zwei Personen gleichzeitig widerfährt. Von Panfilos allgemein gehaltenen Aussagen über den Weissagungscharakter von Träumen findet mit dem Beginn der Erzählung ein Übergang in eine höfisch-adlige Welt statt (Branca 1998, 120): Andreuola, Tochter eines reichen Edelmanns, liebt den moralisch vorbildlichen, aber ärmeren Gabriotto, den sie auf Grund des Standesunterschieds nur heimlich heiraten kann. Gestört wird das zum Alltag gewordene Idyll der verborgenen Liebesbeziehung (Cingolani 2003, 76) durch einen Alptraum Andreuolas, in dem Gabriotto von einem namenlosen schwarzen Etwas angefallen und verschleppt wird:  
    
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: <span style="color: #7b879e;">[...] una notte dormendo parve in sogno vedere sé essere nel suo giardino con Gabriotto [...] le pareva vedere del corpo di lui uscire una cosa oscura e terribile, la forma della quale essa non poteva conoscere, e parevale che questa cosa prendesse Gabriotto e malgrado di lei con maravigliosa forza gliele strappasse di braccio e con esso ricoverasse sotterra [...] (D 380 f.).
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: <span style="color: #7b879e;">una notte dormendo parve in sogno vedere sé essere nel suo giardino con Gabriotto [...] le pareva vedere del corpo di lui uscire una cosa oscura e terribile, la forma della quale essa non poteva conoscere, e parevale che questa cosa prendesse Gabriotto e malgrado di lei con maravigliosa forza gliele strappasse di braccio e con esso ricoverasse sotterra (D 380 f.).
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: <span style="color: #7b879e;">[...] geschah es, daß die junge Dame, schlafend, eines Nachts im Traum mit Gabriotto in ihrem Garten zu sein [...] glaubte. [...] war es ihr, als sähe sie aus seinem Körper ein scheußliches schwarzes Ding herauskommen, dessen Gestalt sie nicht erkennen konnte. Dann kam es ihr so vor, als faßte dieses Ding den Gabriotto und risse ihn wider ihren Willen mit unglaublicher Kraft aus ihren Armen und verschwände mit ihm unter der Erde [...] (Dd 372 f.).</span>
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: <span style="color: #7b879e;">geschah es, daß die junge Dame, schlafend, eines Nachts im Traum mit Gabriotto in ihrem Garten zu sein [...] glaubte. [...] war es ihr, als sähe sie aus seinem Körper ein scheußliches schwarzes Ding herauskommen, dessen Gestalt sie nicht erkennen konnte. Dann kam es ihr so vor, als faßte dieses Ding den Gabriotto und risse ihn wider ihren Willen mit unglaublicher Kraft aus ihren Armen und verschwände mit ihm unter der Erde (Dd 372 f.).</span>
 
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Auch hier wird von der Erzählinstanz die Situierung der Ereignisse in einer Traumwelt dadurch noch einmal hervorgehoben, dass Andreuola jeweils nur ''glaubt'', das Entsprechende zu erleben. Anders als Lisabetta erhält sie im Traum keine sprachlich vermittelte Botschaft; stattdessen wird in dem, was ihr visuell begegnet, eine Bedrohung für Gabriottos Leben manifest, die sie verängstigt aufwachen lässt. In der Unförmigkeit erhält das schwarze Etwas einen beinahe übernatürlichen Charakter und entsprechend verfügt es über eine „maravigliosa forza“. Das Adjektiv eröffnet an dieser Stelle einen Diskurs des Fantastisch-Wunderbaren (Canovas 1996, 561). Eine konkrete Handlungsanweisung erhält Andreuola nicht, interpretiert den Traum aber als Warnung und möchte ein nächstes Treffen mit Gabriotto vermeiden. Als es dennoch zum Treffen kommt und sie von ihrem Traum berichtet, sieht der Geliebte darin keine Warnung. Er beruft sich auf eine andere verbreitete mittelalterliche Theorie der Traumentstehung, nämlich auf den Einfluss zuvor konsumierter Speisen: „Gabriotto udendo questo se ne rise e disse che grande sciocchezza era porre ne’ sogni alucna fede, per ciò che o per soperchio di cibo o per mancamento di quello avvenieno“ (D 381; „Gabriotto aber lachte über ihre Rede und sagte, Träumen irgendwelchen Glauben beizumessen, sei eine große Torheit, denn sie entständen aus Übermaß oder aus Mangel an Speise“, Dd 373). Erst danach offenbart Gabriotto, dass auch er einen bedrohlichen Traum hatte. In direkter Rede fasst er den Inhalt zusammen. Es taucht ebenfalls ein schwarzes Ungeheuer auf („una veltra nera come carbone, affamata e spaventevole molto nell’apparenza“, D 382; „ein kohlschwarzer Windhund von gierigem und furchtbarem Aussehen“, Dd 374). Aus der unförmigen Kreatur, die Andreuola sieht, ist die konkrete Figur eines Windhundes geworden. Insgesamt wird das, was bei Andreuola unspezifisch und unklar bleibt, bei Gabriotto zu einer sehr viel detaillierteren Traumszene, die auch einen ausgeschmückten Schauplatz enthält (Cingolani 2003, 76–79). Sein Traum ist eine Art ent-allegorisierte Variante dessen, was Andreuola im Schlaf geschieht. Gabriotto erkennt allerdings keine Parallelen zum Traum seiner Geliebten. Stattdessen weist er sie an, dem Inhalt von Träumen keinen Glauben zu schenken (D 382). Dass seine Interpretation die falsche ist, wird aus der unmittelbaren Konsequenz ersichtlich: Noch während des Treffens fällt Gabriotto plötzlich tot auf der Wiese nieder. Nur eine der beiden Personen hat das Traumgeschehen korrekt gedeutet. Trotzdem zeigt die Doppelung des Traumerlebens in der Gegensätzlichkeit beider Auslegungen innerhalb von Boccaccios Traumdiskurs an der Schwelle vom Mittelalter zur frühen Neuzeit auf, dass unterschiedliche Ansätze der Traumdeutung nebeneinander existieren (Münchberg/Strohmaier 2020, 276).
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Auch hier wird von der Erzählinstanz die Situierung der Ereignisse in einer Traumwelt dadurch noch einmal hervorgehoben, dass Andreuola jeweils nur ''glaubt'', das Entsprechende zu erleben. Anders als Lisabetta erhält sie im Traum keine sprachlich vermittelte Botschaft; stattdessen wird in dem, was ihr visuell begegnet, eine Bedrohung für Gabriottos Leben manifest, die sie verängstigt aufwachen lässt. In der Unförmigkeit erhält das schwarze Etwas einen beinahe übernatürlichen Charakter und entsprechend verfügt es über eine „maravigliosa forza“. Das Adjektiv eröffnet an dieser Stelle einen Diskurs des Fantastisch-Wunderbaren (Canovas 1996, 561). Eine konkrete Handlungsanweisung erhält Andreuola nicht, interpretiert den Traum aber als Warnung und möchte ein nächstes Treffen mit Gabriotto vermeiden. Als es dennoch dazu kommt und sie von ihrem Traum berichtet, sieht der Geliebte darin keine Warnung. Er beruft sich auf eine andere verbreitete mittelalterliche Theorie der Traumentstehung, nämlich auf den Einfluss zuvor konsumierter Speisen: „Gabriotto udendo questo se ne rise e disse che grande sciocchezza era porre ne’ sogni alucna fede, per ciò che o per soperchio di cibo o per mancamento di quello avvenieno“ (D 381; „Gabriotto aber lachte über ihre Rede und sagte, Träumen irgendwelchen Glauben beizumessen, sei eine große Torheit, denn sie entständen aus Übermaß oder aus Mangel an Speise“, Dd 373). Erst danach offenbart er, dass auch er einen bedrohlichen Traum hatte. In direkter Rede fasst er den Inhalt zusammen. Es taucht ebenfalls ein schwarzes Ungeheuer auf („una veltra nera come carbone, affamata e spaventevole molto nell’apparenza“, D 382; „ein kohlschwarzer Windhund von gierigem und furchtbarem Aussehen“, Dd 374). Aus der unförmigen Kreatur, die Andreuola sieht, ist hier also die konkrete Figur eines Windhundes geworden. Insgesamt wird das, was bei Andreuola unspezifisch und unklar bleibt, bei Gabriotto zu einer sehr viel detaillierteren Traumszene, die auch einen ausgeschmückten Schauplatz enthält (Cingolani 2003, 76–79). Sein Traum ist eine Art ent-allegorisierte Variante dessen, was Andreuola im Schlaf geschieht. Gabriotto erkennt allerdings keine Parallelen zum Traum seiner Geliebten. Stattdessen weist er sie an, dem Inhalt von Träumen keinen Glauben zu schenken (D 382). Dass seine Interpretation die falsche ist, wird aus der unmittelbaren Konsequenz ersichtlich: Noch während des Treffens fällt Gabriotto plötzlich tot auf der Wiese nieder. Nur eine der beiden Personen hat das Traumgeschehen korrekt gedeutet. Trotzdem zeigt die Doppelung des Traumerlebens in der Gegensätzlichkeit beider Auslegungen innerhalb von Boccaccios Traumdiskurs an der Schwelle vom Mittelalter zur frühen Neuzeit auf, dass unterschiedliche Ansätze der Traumdeutung nebeneinander existieren (Münchberg/Strohmaier 2020, 276).
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: <span style="color: #7b879e;">Egli mente ben per la gola, ché con la Niccolosa non è egli giaciuto: ché io mi ci coricai io in quel punto che io non ho mai poscia potuto dormire; e tu se’ una bestia che gli credi. Voi bevete tanto la sera, che poscia sognate la notte e andate in qua e in là senza sentirvi e parvi far maraviglie: egli è gran peccato che voi non vi fiaccate il collo! Ma che fa egli costì Pinuccio? perché non si sta egli nel letto suo (D 779)?
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: <span style="color: #7b879e;">Egli mente ben per la gola, ché con la Niccolosa non è egli giaciuto: ché io mi ci coricai io in quel punto che io non ho mai poscia potuto dormire; e tu se’ una bestia che gli credi. Voi bevete tanto la sera, che poscia sognate la notte e andate in qua e in là senza sentirvi e parvi far maraviglie: egli è gran peccato che voi non vi fiaccate il collo! Ma che fa egli costì Pinuccio? perché non si sta egli nel letto suo? (D 779)
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: <span style="color: #7b879e;">Da lügt er gründlich in seinen Hals hinein, [...] denn bei der Niccolosa ist er nimmer gewesen. Ich habe mich gleich gestern zu ihr gelegt und seitdem nicht einen Augenblick schlafen können, und du bist ein Tropf, wenn du ihm glaubst. Ihr Männer trinkt immer des Abends so viel, daß ihr nachts träumt und hier und dort umhergeht, ohne etwas von euch zu wissen, und dann glaubt ihr wunder was. Schade nur, daß ihr euch nicht den Hals brecht. Aber was macht den Pinuccio dort, und warum liegt er nicht in seinem Bett (Dd 763)?</span>
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: <span style="color: #7b879e;">Da lügt er gründlich in seinen Hals hinein, [...] denn bei der Niccolosa ist er nimmer gewesen. Ich habe mich gleich gestern zu ihr gelegt und seitdem nicht einen Augenblick schlafen können, und du bist ein Tropf, wenn du ihm glaubst. Ihr Männer trinkt immer des Abends so viel, daß ihr nachts träumt und hier und dort umhergeht, ohne etwas von euch zu wissen, und dann glaubt ihr wunder was. Schade nur, daß ihr euch nicht den Hals brecht. Aber was macht denn Pinuccio dort, und warum liegt er nicht in seinem Bett? (Dd 763)</span>
 
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Um die Männer von ihrer Version zu überzeugen und Pinuccios Erzählung scheinbar als Traum identifizieren zu können, nimmt die Wirtin, wie zuvor Gabriotto, Bezug auf das Zustandekommen von Träumen durch zuvor konsumierte Getränke oder Speisen (Samaké 2020, 345). Adriano indes durchschaut die List und beteiligt sich am Spiel. Er redet Pinuccio als Schlafwandler an:
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Um die Männer von ihrer Version zu überzeugen und Pinuccios Erzählung als Traum identifizieren zu können, nimmt die Wirtin, wie schon Gabriotto, Bezug auf das Zustandekommen von Träumen durch zuvor konsumierte Getränke oder Speisen (Samaké 2020, 345). Adriano indes durchschaut die List und beteiligt sich am Spiel. Er redet Pinuccio als Schlafwandler an:
    
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: <span style="color: #7b879e;">Pinuccio, io te l’ho detto cento volte che tu non vada attorno, ché questo tuo vizio del levarti in sogno e di dire le favole che tu sogni per vere ti daranno una volta la mala ventura: torna qua, che Dio ti dea la mala notte (D 779)!
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: <span style="color: #7b879e;">Pinuccio, io te l’ho detto cento volte che tu non vada attorno, ché questo tuo vizio del levarti in sogno e di dire le favole che tu sogni per vere ti daranno una volta la mala ventura: torna qua, che Dio ti dea la mala notte! (D 779)
    
: <span style="color: #7b879e;">Pinuccio, ich hab’ es dir schon hundertmal gesagt, du sollst nachts nicht umhergehen, denn diese deine Untugend, im Schlaf aufzustehen und dann den Unsinn, den du träumst, als Wahrheit zu erzählen, wird dich noch einmal ins Unglück bringen. Komm zurück, oder Gott schicke dir eine üble Nacht (Dd 763 f.).</span>
 
: <span style="color: #7b879e;">Pinuccio, ich hab’ es dir schon hundertmal gesagt, du sollst nachts nicht umhergehen, denn diese deine Untugend, im Schlaf aufzustehen und dann den Unsinn, den du träumst, als Wahrheit zu erzählen, wird dich noch einmal ins Unglück bringen. Komm zurück, oder Gott schicke dir eine üble Nacht (Dd 763 f.).</span>

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