"Divina Commedia" (Dante Alighieri): Unterschied zwischen den Versionen

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====Erster Traum====
====Erster Traum====
Am Eingang zum Läuterungsberg versinkt Dante, erschöpft vom Aufstieg, in einen morgendlichen Schlaf und hat dort seinen ersten Traum. Wie bereits im Prolog wird hier die Zeit des Morgens als traumdeuterisch relevanter Moment mobilisiert: "Die Morgenstunde, in der die Schwalbe ihren traurigen Gesang anstimmt, ist die Zeit einer seherischen Wahrheit. Denn der Geist (mente) löst sich vom Körper, er beschäftigt sich nicht mehr mit den Gedanken, sondern ist für eine mystische Vision geöffnet" (Münchberg 2020, 292). Der Traum wird folgendermaßen wiedergegeben:
Am Eingang zum Läuterungsberg versinkt Dante, erschöpft vom Aufstieg, in einen morgendlichen Schlaf und hat dort seinen ersten Traum. Wie bereits im Prolog wird hier die Zeit des Morgens als traumdeuterisch relevanter Moment mobilisiert: "Die Morgenstunde, in der die Schwalbe ihren traurigen Gesang anstimmt, ist die Zeit einer seherischen Wahrheit. Denn der Geist (mente) löst sich vom Körper, er beschäftigt sich nicht mehr mit den Gedanken, sondern ist für eine mystische Vision geöffnet" (Münchberg 2020, 292). Der Traum wird folgendermaßen wiedergegeben:
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: <span style="color: #7b879e;">che convenne che ’l sonno si rompesse (''Purgatorio'' IX, 13-33).
: <span style="color: #7b879e;">che convenne che ’l sonno si rompesse (''Purgatorio'' IX, 13-33).


: <span style="color: #7b879e;">Zur Stunde, wenn die Schwalbe ihre traurigen Lieder anhebt, / nahe zum Morgen, / […] / schien es mir im Traum, ich sah einen Adler mit Federn / von Gold am Himmel schweben, mit offenen Flügeln / und bereit herabzukommen; / und es schien mir, ich war dort, wo von Ganymedes / die Seinen verlassen wurden, als er entrückt wurde / zur höchsten Ratsversammlung. / Bei mir dachte ich: ‚Vielleicht stößt dieser immer nur hier nach / seiner Gewohnheit nieder und vielleicht verschmäht er es, / von einem anderen Ort in den Fängen etwas emporzutragen.‘ / Dann schien es mir, daß er, nachdem er eine Weile / gekreist hatte, erschreckend wie ein Blitzstrahl herabfuhr / und mich entrückte bis zum Feuer. / Dort schien es, daß er und ich in Brand gerieten, / und so sehr versengte mich die vorgestellte Feuersglut, / daß der Schlaf zerschellen mußte.</span>
: <span style="color: #7b879e;">Zur Stunde, wenn die Schwalbe ihre traurigen Lieder anhebt,/ nahe zum Morgen,/ […]/ schien es mir im Traum, ich sah einen Adler mit Federn/ von Gold am Himmel schweben, mit offenen Flügeln/ und bereit herabzukommen;/ und es schien mir, ich war dort, wo von Ganymedes/ die Seinen verlassen wurden, als er entrückt wurde/ zur höchsten Ratsversammlung./ Bei mir dachte ich: ‚Vielleicht stößt dieser immer nur hier nach/ seiner Gewohnheit nieder und vielleicht verschmäht er es,/ von einem anderen Ort in den Fängen etwas emporzutragen.‘/ Dann schien es mir, daß er, nachdem er eine Weile/ gekreist hatte, erschreckend wie ein Blitzstrahl herabfuhr/ und mich entrückte bis zum Feuer./ Dort schien es, daß er und ich in Brand gerieten,/ und so sehr versengte mich die vorgestellte Feuersglut,/ daß der Schlaf zerschellen mußte.</span>
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Der Traum von einem goldgefiederten Adler, der aus dem Himmel herabstößt, um den Träumenden zu packen und in eine Feuersphäre zu verschleppen, in der dieser zu verglühen glaubt, lässt Dante vor Schreck erwachen. Er erkennt, dass Vergil bei ihm ist, der ihm zeigt, dass sie das Eingangstor zum Läuterungsberg erreicht haben. Die Deutung des Traums überlässt der Autor dem intradiegetischen Begleiter. Dieser berichtet Dante, die heilige Lucia sei während seines Schlafs erschienen und habe ihn bis zum Tor hinaufgetragen. Die unbewusste Traumerfahrung nimmt ihren Ursprung damit in einem externen Stimulus – Das ‚Gepacktwerden‘ im Traum spiegelt das ‚Getragenwerden‘ während des Schlafs in der realen Welt wider. Während der Ich-Erzähler einerseits die sensorisch intensive Dimension des Traums rekonstruiert, markiert das Verb „parea“ in der nachträglichen Erzählung eine Differenz zwischen Wirklichkeit und Traumzustand.
Der Traum von einem goldgefiederten Adler, der aus dem Himmel herabstößt, um den Träumenden zu packen und in eine Feuersphäre zu verschleppen, in der dieser zu verglühen glaubt, lässt Dante vor Schreck erwachen. Er erkennt, dass Vergil bei ihm ist, der ihm zeigt, dass sie das Eingangstor zum Läuterungsberg erreicht haben. Die Deutung des Traums überlässt der Autor dem intradiegetischen Begleiter. Dieser berichtet Dante, die heilige Lucia sei während seines Schlafs erschienen und habe ihn bis zum Tor hinaufgetragen. Die unbewusste Traumerfahrung nimmt ihren Ursprung damit in einem externen Stimulus – das ‚Gepacktwerden‘ im Traum spiegelt das ‚Getragenwerden‘ während des Schlafs in der realen Welt wider. Während der Ich-Erzähler einerseits die sensorisch intensive Dimension des Traums rekonstruiert, markiert das Verb „parea“ in der nachträglichen Erzählung eine Differenz zwischen Wirklichkeit und Traumzustand.
Katharina Münchberg verweist jedoch darauf, dass die Traumbilder auch noch weiterreichende Bedeutungen haben: Der herabstürzende Adler stehe „für Christus, der Dantes Seele durch das Feuer zwischen Erdsphäre und Mondsphäre zu Gott erhebt“ (2020, 292). Neben dieser primären Bedeutung verweist sie auch noch auf andere allegorische Assoziationen: So wird in der Apokalypse ein Adler erwähnt, der die Menschen vor ihrer Sündhaftigkeit warnt. Dadurch lässt sich überdies ein Zusammenhang herstellen zu Beatrice und dem Wagen, auf dem sie das irdische Paradies durchquert, da der Wagen von einem Greifen mit goldenen Adlerflügeln gezogen wird. Dieser wiederum kann als Allegorie für Christus gedeutet werden (Münchberg 2020, 293). Auch das Feuer verweist auf bevorstehende Episoden wie das Läuterungsfeuer am Ende des ''Purgatorio'' oder die Feuersphäre, die die irdische Luft von der Mondsphäre trennt. Spannend ist in diesem Sinn, dass Dante mit diesen allegorischen Verweisen zwar eine prophetisch, bzw. aus narratologischer Sicht, proleptisch aufgeladene Deutung impliziert, explizit jedoch eine profane Erklärung anführt, die das Traumerleben in den Mittelpunkt der Narration stellt.
 
Katharina Münchberg verweist jedoch darauf, dass die Traumbilder auch noch weiterreichende Bedeutungen haben: Der herabstürzende Adler stehe „für Christus, der Dantes Seele durch das Feuer zwischen Erdsphäre und Mondsphäre zu Gott erhebt“ (Münchberg 2020, 292). Neben dieser primären Bedeutung verweist sie auch noch auf andere allegorische Assoziationen: So wird in der Apokalypse ein Adler erwähnt, der die Menschen vor ihrer Sündhaftigkeit warnt. Dadurch lässt sich überdies ein Zusammenhang herstellen zu Beatrice und dem Wagen, auf dem sie das irdische Paradies durchquert, da der Wagen von einem Greifen mit goldenen Adlerflügeln gezogen wird. Dieser wiederum kann als Allegorie für Christus gedeutet werden (Münchberg 2020, 293). Auch das Feuer verweist auf bevorstehende Episoden wie das Läuterungsfeuer am Ende des ''Purgatorio'' oder die Feuersphäre, die die irdische Luft von der Mondsphäre trennt. Spannend ist in diesem Sinn, dass Dante mit diesen allegorischen Verweisen zwar eine prophetisch, bzw. aus narratologischer Sicht, proleptisch aufgeladene Deutung impliziert, explizit jedoch eine profane Erklärung anführt, die das Traumerleben in den Mittelpunkt der Narration stellt.


====Zweiter Traum====
====Zweiter Traum====
In ''Purgatorio'' XIX hat Dante seinen zweiten Traum:
In ''Purgatorio'' XIX hat Dante seinen zweiten Traum:
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: <span style="color: #7b879e;">anzi che ’l fatto sia, sa le novelle (Purgatorio XXVII, 91-93).
: <span style="color: #7b879e;">anzi che ’l fatto sia, sa le novelle (Purgatorio XXVII, 91-93).


: <span style="color: #7b879e;">So wiederkäuend und so jene betrachtend / übermannte mich der Schlaf, der Schlaf, der oft, / bevor etwas geschieht, die Kund weiß.</span>
: <span style="color: #7b879e;">So wiederkäuend und so jene betrachtend/ übermannte mich der Schlaf, der Schlaf, der oft,/ bevor etwas geschieht, die Kund weiß.</span>
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: <span style="color: #7b879e;">dal suo miraglio, e siede tutto giorno (Purgatorio XXVII, 97-105).
: <span style="color: #7b879e;">dal suo miraglio, e siede tutto giorno (Purgatorio XXVII, 97-105).


: <span style="color: #7b879e;">‚[Es] war mir im Traum, ich sähe jung und schön eine Frau / über eine Heide gehen, Blumen pflückend, / und singend sprach sie: / ‚Wissen soll jeder, der nach meinem Namen fragt, / daß ich Lea bin; ich gehe umher und rühre / meine schönen Hände, mir einen Kranz zu flechten. / Um mir im Spiegel zu gefallen, schmücke ich mich hier; / doch meine Schwester Rahel trennt sich nie / von ihrem Spiegelglas und weilt den ganzen Tag.</span>
: <span style="color: #7b879e;">‚[Es] war mir im Traum, ich sähe jung und schön eine Frau/ über eine Heide gehen, Blumen pflückend,/ und singend sprach sie:/ ‚Wissen soll jeder, der nach meinem Namen fragt,/ daß ich Lea bin; ich gehe umher und rühre/ meine schönen Hände, mir einen Kranz zu flechten./ Um mir im Spiegel zu gefallen, schmücke ich mich hier;/ doch meine Schwester Rahel trennt sich nie/ von ihrem Spiegelglas und weilt den ganzen Tag.</span>
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In diesem Beispiel wird die allegorische Bedeutung des Traums nicht von einer physiologisch untermauerten Erklärung Vergils überlagert. Relativ eindeutig erscheint so die symbolische Antithese zwischen den beiden Frauen, die die zwei philosophischen Konzeptionen der ''vita activa'' und der ''vita contemplativa'' verkörpern. Gleichzeitig kann dem Traum abermals eine proleptische, bzw. prophetische Dimension zugeschrieben werden, da die beiden Frauen im Traum für die beiden Frauen stehen, denen Dante kurz darauf im irdischen Paradies begegnet: Matelda, die am Ufer des Flusses Lethe Blumen pflückt, und Beatrice, seine verstorbene Geliebte. Mit dieser wird das Motiv des Spiegels wieder aufgegriffen: Als Dante seiner Geliebten voll Reue angesichts ihrer Vorwürfe gegenübersteht, blickt er in ihre Augen, in denen sich das Abbild eines Greifs spiegelt – „Come in lo specchio il sol, non altrimenti / la doppia fiera dentro vi raggiava“ (Purgatorio XXXI, 121-122) / „Wie die Sonne im Spiegel, nicht anders erstrahlte / das zweifache Tier darin“ – ein Verweis auf die bevorstehende Begegnung mit dem Göttlichen.
In diesem Beispiel wird die allegorische Bedeutung des Traums nicht von einer physiologisch untermauerten Erklärung Vergils überlagert. Relativ eindeutig erscheint so die symbolische Antithese zwischen den beiden Frauen, die die zwei philosophischen Konzeptionen der ''vita activa'' und der ''vita contemplativa'' verkörpern. Gleichzeitig kann dem Traum abermals eine proleptische, bzw. prophetische Dimension zugeschrieben werden, da die beiden Frauen im Traum für die beiden Frauen stehen, denen Dante kurz darauf im irdischen Paradies begegnet: Matelda, die am Ufer des Flusses Lethe Blumen pflückt, und Beatrice, seine verstorbene Geliebte. Mit dieser wird das Motiv des Spiegels wieder aufgegriffen: Als Dante seiner Geliebten voll Reue angesichts ihrer Vorwürfe gegenübersteht, blickt er in ihre Augen, in denen sich das Abbild eines Greifs spiegelt – „Come in lo specchio il sol, non altrimenti/ la doppia fiera dentro vi raggiava“ (Purgatorio XXXI, 121 f.; „Wie die Sonne im Spiegel, nicht anders erstrahlte/ das zweifache Tier darin“) – ein Verweis auf die bevorstehende Begegnung mit dem Göttlichen.
 


===Dantes Traumpoetik===
===Dantes Traumpoetik===

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